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Der Weiße Traum/The White Dream, 1980, Detail Stoffbahnen mit ganzen Körperabdrücken in der Ausstellung "K 18 - Stoffwechsel", Kassel 1982

 
  Der Weiße Traum, 1980

Der Weiße Traum ist eine Mischung aus Performance und Installation. Auf der Suche nach den Wurzeln des eigenen Selbst begibt Kutscher sich bei dieser Arbeit auf eine Reise in die Vergangenheit an den Ort seiner frühen Jugend. Ziel der Reise ist Fürstenhagen, wo er als Flüchtlingskind glückliche Zeiten verbrachte. Zwischen Hügeln eingebettet, liegt das kleine Dorf in einer Talmulde des Weserberglandes.

Für seine einmonatige Performance wählt Kutscher 89 Schauplätze aus, die in einer enger werdenden Spirale die Gegend um den Ort einkreisen. An diesen Schauplätzen inszeniert er im kühlen Mai des Jahres 1980 eine rituelle Verschmelzung zwischen Mensch und Natur. Die Schauplätze dieser Inszenierung liegen im Wald, auf Wiesen und Feldern und nähern sich im Zentrum ihrer spiralförmigen Anordnung einem Bach mit kaolinweißem Bett. Jeder Schauplatz bietet unterschiedliches Klima im Hinblick auf Sonne und Schatten, Trockenheit und Feuchte.

An den ausgewählten Schauplätzen übermalt Kutscher seinen eigenen nackten Körper mit den Fingern vor einem mannshohen Spiegel. Die Bemalung wird mittels Zeichnung und Farbmischung am Tag zuvor genau geplant, um die bestmöglichen Voraussetzungen für die anschließende Verschmelzung zu schaffen. Jede Verschmelzung dauert etwa 5 - 7 Minuten. Kutscher nimmt dabei eine stehende, sitzende oder liegende Körperhaltung innerhalb der umgebenden Natur ein und wird während dieser Zeit als Teil seines Umfelds aus ständig wechselnden Perspektiven mit einer Polaroidkamera fotografiert. Sein Ziel ist es, nicht in der Natur ”zu verschwinden”, sondern sich ihr anzupassen. Mimik und Körpersprache richten sich nach den Bedingungen des Umfelds. Sie schließen den theatralischen Ausdruck und das deutlich körperhafte Reagieren auf die unterschiedlichen natürlichen Bedingungen ein. Zum Abschluss der Performance-Serie liegt sein Körper auf herbstlichen Blättern am Bachufer aufgebahrt. Er ist mit weißem Kaolin bedeckt. Dieses Bild soll auf den Kreislauf aus Werden und Vergehen ansprechen. Die tonige Erdmasse, die beim Trocknen fest und staubig, beim Befeuchten wieder lebendig und formbar wird, ist Metapher für die Ambivalenz zwischen Tod und Wiedergeburt und für das Verwurzeltsein des Menschen mit der Natur.

Als Teil der Performance streift Kutscher abschließend die Farbe seines täglich mehrfach neu bemalten Körpers in weißen Laken ab. Zum Fixieren der Farbe werden die Farb- und Körperspuren in die Tücher eingebügelt, um später zu einer labyrinthischen Installation zusammengesetzt zu werden.

Dieses Labyrinth besteht aus 7 Reihen von 3,50m x 1,50m großen Laken, auf denen die Intensität der Farbspuren zum Zentrum hin abnimmt. Hängung und Abstand der Laken zueinander werden durch die Himmelsrichtung vorgegeben, in der die Abdrücke entstanden sind. Bei der Hängung verzichtet Kutscher auf jede kompositorische Absicht. Der Besucher bahnt sich seinen Weg durch die weichen Tuchspalten und Gänge hin zum Zentrum. Die Körper-Tücher berühren ihn und konfrontieren ihn hautnah mit der Umgebung. Das Zentrum ist ein Raum aus völlig weißen Tüchern. Der Boden ist kreisförmig mit weißem Kaolin bedeckt. Er wird von einem starken Strahler hell erleuchtet. Die Tücher duften nach frischer Bettwäsche. Der Betrachter wird durch die gesamte Atmosphäre in jeder Hinsicht sinnlich angesprochen. So wird er auf mehrfache Weise - nicht nur durch das Hinterlassen eigener Spuren im Zentrum - in den ”Weißen Traum” einbezogen.

Das Weiß der Laken und des Kaolins steht für die Leichtigkeit, die auch dem Traum innewohnt. Durch Weiß, die Summe aller Farben, verliert der Raum seine Plastizität und scheint sich zu entgrenzen. Der Betrachter kann in ein Ambiente eintreten, das sowohl Physis als auch Seele und Geist anspricht. Die mythische Kraft der Natur mit ihren energiegeladenen schöpferischen Kreisläufen, auf die Kutscher mit der Installation anspricht, ermöglicht es für eine Weile, zivilisatorische Einengungen gegen eine ”naturbestimmte” Stimmung einzutauschen.

Fünf Tontafeln aus ungebranntem weißen Ton mit Skizzen und lyrischen Texten umgeben das Labyrinth. Von einer Endloskassette ist Bachgeplätscher zu hören. An den Wänden des Raumes installiert Kutscher in strenger Anordnung „Mythische Dokumente“. Es sind die Polaroidfotos mit den Darstellungen der 89 Verschmelzungsrituale und die dazugehörigen Farbproben am Ort des "Weißen Traums”: Fürstenhagen.

Peter Forster

 
               
  Der Weiße Traum, 1980

Der Weiße Traum is a mixture of performance and installation. In search of the roots of his own identity, Kutscher embarked in this work on a journey into the past and to the places of his early youth. The destination is Fürstenhagen, where he experienced happy years as a child refugee. Bedded amongst rolling hills, the small village lies in a valley in the Weser highlands.

Kutscher selected 89 venues for his one-month-long performance, each positioned along a route that encircled the town in a continuously narrowing spiral. At these locations he staged a ritual merger of human being and nature in the cool weeks of May 1980. The presentation was staged at sites in wooded areas, meadows and fields approaching closer and closer in their spiral arrangement a brook with akaolin-white bed. Each site offered a different climatic environment, with varying degrees of sunlight and shade, dryness and moisture.

At each of these chosen locations, Kutscher painted his own nude body with his fingers while standing in front of a man-sized mirror. Each act of painting was planned precisely the previous day (using drawings and by mixing paints in advance), as the artist sought to establish the most favourable conditions possible for the process of melting together with nature. Each "melting" procedure lasted between five and seven minutes. Kutscher assumed a standing, sitting or reclining position within his natural surroundings and had himself photographed with a Polaroid camera from changing perspectives during the process. His goal was not to "disappear" into nature but to adapt to it. Facial expressions and body language were designed to respond to the conditions of his surroundings. They included dramatic expressions and unmistakably physical reactions to various different natural circumstances. At the end of the performance, his body lay on a bier of autumn leaves at the banks of the stream, covered completely with white kaolin. This image was an allusion to the eternal cycle of life. The clay earth, hard and dusty when dry, becomes responsive and malleable when moistened: a metaphor for  the ambivalence of death and rebirth and for humanity's roots in nature.

Part of the performance involved the transfer of the paint applied each day to Kutscher's body onto white sheets. Traces of paint and the imprint of the artist's body were ironed into the sheets, which were later sewn together to form a labyrinthine installation.

This labyrinth consisted of seven rows of large sheets (each measuring 3.5 x 1.5 metres), on which the intensity of the traces of paint decreases toward the centre. The sheets were hung and placed at intervals from one another according to the compass directions in which the impressions were made. Kutscher pursued no compositorial intention whatsoever in the hanging configuration. Visitors made their way through the gaps and pathways between the soft cloths toward the centre. The body-sheets touched them and confronted them with their surroundings in a direct way. The centre was a space enclosed by completely white sheets. The ground formed a circle covered with white kaolin. It was illuminated by an intense spotlight. The cloths had the scent of fresh bedsheets. Viewers were addressed through all of their senses by the atmosphere as a whole and integrated in a number of ways – not only by virtue of the traces they left behind in the centre – into the White Dream.

The white of the sheets and the kaolin stood for the inherent lightness of dream. The effect of white, the sum of all colours, reduced the three-dimensional character of the space, which appeared to lose all boundaries. The viewer was invited into an ambience that addressed the body, the soul and the mind at once. The mythical power of nature, with its energised creative cycles, to which Kutscher referred in his installation, made it possible for a brief moment to exchange the constraints of civilisation for an atmosphere "created by nature".

Five tablets made of unbaked white clay bearing sketches and lyrical texts surrounded the labyrinth. The sounds of a babbling brook were emitted by a continuous-loop tape. Kutscher placed "mythical documents" in a strict arrangement on the walls of the room – the Polaroid photos with the images of the 89 melting rituals and the matching colour tests made at the site of the White Dream: Fürstenhagen.

Peter Forster